US-Strategie: George Friedman, STRATFOR (Aus: Chicago Council on Global Affairs / YouTube, deutsch: AntikriegTV/YouTube, 2015)

Übersetzung von Teilen aus dem englischen Originalvortrag, jeweils mit Zeitangabe:

„Vor zehn Tagen war der Oberbefehlshaber der US-Army in Europa, General Ben Hodges, zu Besuch in der Ukraine. Er kündigte dort an, dass die US-Ausbilder demnächst offiziell in die Ukraine kommen werden, und nicht nur inoffiziell. Er hat dort tatsächlich Orden an die ukrainischen Kämpfer verteilt (…), um zu zeigen, dass die ukrainische Armee seine Armee ist. Dann ging er weg und verkündete in den baltischen Staaten, dass die Vereinigten Staaten Panzer, Artiellerie und andere Militärausrüstung in den baltischen Staaten Rumänien, Polen, und Bulgarien bereitstellen würden. (…) Und gestern haben die Vereinigten Staaten angekündigt, dass sie vorhaben, Waffen in die Ukraine zu liefern. Das wurde in der Nacht wieder dementiert, aber sie tun das. Die Waffen werden geliefert.“ 46:15

„Russland glaubt, die USA beabsichtigen, die russische Föderation zu zerschlagen. Ich denke, wie Peter L. es ausdrückte: Wir wollen dich nicht töten, wir wollen dir nur ein bisschen wehtun. Wie auch immer, wir sind zurück im alten Spiel.“ 47:35

Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts im ersten und dem zweiten Weltkrieg und dem kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen könnte. Wir müssen sicherstellen, dass dies nicht geschieht.“ 53:52

„Die Vereinigten Staaten haben ein fundamentales Interesse. Sie kontrollieren alle Ozeane der Welt. Keine andere Macht hat das jemals getan. Aus diesem Grund können wir in andere Länder eindringen, aber sie können es nicht bei uns, das ist eine schöne Sache. Die Aufrechterhaltung über die Kontrolle der Ozeane und des Weltalls ist die Grundlage unserer Macht. Der beste Weg, eine feindliche Flotte zu besiegen, ist zu verhindern, dass diese gebaut wird. Der Weg, den die Briten gegangen sind, um sicherzustellen, dass keine europäische Macht die Flotte bauen konnte, ist, dass die Europäer einander bekämpften. Die Politik, die ich empfehlen würde, ist die, die Ronald Reagan angewendet hat, in Bezug auf den Iran und den Irak.1 Er finanzierte beide Seiten, sodass sie gegeneinander kämpften und nicht gegen uns. Das war zynisch, bestimmt nicht moralisch, aber es funktionierte.  Und das ist der Punkt: Die Vereinigten Staaten sind nicht in der Lage, ganz Eurasien zu okkupieren. In dem Moment, wo wir mit dem Stiefel den Boden berühren, ist der demografische Unterschied, dass wir zahlenmäßig völlig unterlegen sind. Wir können eine Armee besiegen. Wir können den Irak nicht besetzen. Die Vorstellung, dass 130.000 Männer ein Land mit 25 Millionen Einwohnern besetzen könnten, ist eine Illusion. (…) (59:14)

Aber wir sind in der Lage, zunächst die gegeneinander kämpfenden Mächte zu unterstützen, politisch, auch etwas wirtschaftlich, militärisch und mit Beratern, damit sie sich auf sich selbst konzentrieren, und im Extremfall das zu tun, was wir in Japan, in Vietnam, im Irak und in Afghanistan getan haben. Verwüstungsangriffe.Ein solcherStör-Angriff zielt nicht darauf ab, den Feind zu besiegen. Er zielt darauf ab, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Etwas, was wir in jedem dieser Kriege taten. In Afghanistan zum Beispiel haben wir Al Quaida aus dem Gleichgewicht gebracht. Das Problem, das wir haben, da wir jung und dumm sind, ist, dass wir, nachdem wir den Feind aus dem Gleichgewicht gebracht haben, statt zu sagen: Okay, gute Arbeit geleistet. Geht nach Hause. Wir sagen: Nun, das war einfach. Warum bauen wir hier nicht eine Demokratie auf? (01:01:28)

Die Frage, die sich für Russland stellt, ist, ob es eine Pufferzone beibehalten wird, die zumindest neutral ist. Oder wird der Westen so weit in die Ukraine vordringen, dass er nur noch 70 Meilen von Stalingrad und 300 Meilen von Moskau entfernt ist?

Für Russland ist der Status der Ukraine eine existenzielle Bedrohung. Und die Russen können das nicht ignorieren. Für die Vereinigten Staaten gilt: Wenn Russland an der Ukraine festhält, wo wird es aufhören?
Es ist kein Zufall, dass General Hodges, der ernannt wurde, um für all dies geradezustehen, davon spricht, Truppen in Rumänien, Bulgarien, Polen und den baltischen Staaten in Stellung zu bringen. Dem Intermarum. Dem Territorium zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee. Wie Brzeziński es erträumte. Für die USA ist das die Lösung.” 01:09:09

Die Frage, auf die wir keine Antwort haben, ist: Wie wird Deutschland sich verhalten? Die unbekannte Variable in Europa sind die Deutschen. Während die USA diesen Sicherheitsgürtel aufbauen, nicht in der Ukraine, sondern westlich davon, und die Russen einen Weg suchen, den westlichen Einfluss in der Ukraine zurückzudrängen, wissen wir nicht, wie die deutsche Haltung ausfallen wird. Deutschland befindet sich in einer sehr eigenartigen Lage. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt im Aufsichtsrat von Gazprom. Die Deutschen haben eine sehr komplexe Beziehung zu den Russen. Die Deutschen wissen selber nicht, was sie tun sollen. (…) Die Urangst der USA ist, dass deutsches Kapital und deutsche Technologien sich mit russischen Rohstoffen und russischer Arbeitskraft verbinden. Eine einzigartige Kombination, vor der die USA seit Jahrhunderten eine Höllenangst haben.
Wie wird sich das also abspielen? Die USA haben ihre Karten bereits auf den Tisch gelegt. Die Linie zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer. Die russischen Karten lagen schon immer auf dem Tisch. Das Mindeste, was sie brauchen, ist eine neutrale Ukraine. Keine Pro-Westliche. Weißrussland ist eine andere Frage. Wer mir nun sagen kann, was die Deutschen tun werden, der kann mir auch sagen, wie die Geschichte der nächsten zwanzig Jahre aussehen wird. Aber leider haben sich die Deutschen noch nicht entschieden. Und das ist immer ein Problem Deutschlands. Wirtschaftlich sehr mächtig, geopolitisch sehr fragil. Und es weiß nie, wie es beides vereinbaren kann. (…) Denken Sie über die deutsche Frage nach, denn sie kommt jetzt wieder auf uns zu. Dieser Frage müssen wir uns jetzt stellen, und wir wissen nicht, wie. Wir wissen nicht, was die Deutschen jetzt tun werden.“

1Iran-Irak-Krieg 1980 bis 1988